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Deutsche Solartechnik: Arbeiten für die Renaissance

zwei Personen mit Laborkittel und Haarnetz in einer steril wirkenden technischen Anlage
13
Mär
2024
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Die Physikerin Bianca Lim ist für die strategische Planung am ISFH zuständig und hält damit die Forschung „am Puls der Zeit“. Sie will dazu beitragen, die Produktion von Solarmodulen zurück nach Deutschland zu holen. Ein Portrait von Tim Schröder.

Am Ende waren es zwei Gründe, die Bianca Lim für ihre Doktorarbeit von Berlin nach Hameln führten. Erstens fand sie das Thema ziemlich spannend. Sie sollte nach „Defekten“ in Solarzellen fahnden, kleinen Fehlern im wohlgeordneten Kristallgitter des Photovoltaikmaterials Silizium. „Diese Arbeit ist wirklich wichtig, weil man damit direkt dazu beitragen kann, den Wirkungsgrad von Solarzellen zu verbessern – und mehr Strom aus Photovoltaikanlagen zu holen“, sagt die Physikerin. Und so machte sie sich auf den Weg von Berlin zum Vorstellungsgespräch beim Institut für Solarenergieforschung in Hameln (ISFH).

Der Besuch war ein Volltreffer. Der Leiter der Forschungsgruppe nahm sich Zeit, um ihr von den aktuellen Projekten zu erzählen, und führte sie anschließend zwei Stunden lang durch die Labore. „Ich konnte mit den anderen Promovierenden sprechen, viele Fragen stellen – und als ich dann zurück zum Bus lief, dachte ich, dass ich mir gut vorstellen könnte, hier zu arbeiten.“ Diese „tolle Atmosphäre“ war, wie sie sagt, der zweite wichtige Grund, zuhause in Berlin die Koffer zu packen und die wissenschaftliche Karriere an der Weser zu starten.

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Solartechnik made in Germany: Bianca Lim im Videoportrait

Letztlich geht es darum, am Puls der Zeit zu sein.

Dr. Bianca Lim

Ein Job, bei dem man viel redet

Heute, 16 Jahre später, ist Bianca Lim noch immer am ISFH. Inzwischen hat sie ihren Arbeitsplatz im Labor verlassen. Sie arbeitet als Expertin für strategische Planung im Bereich Photovoltaik – „ein Job, bei dem man vor allem viel reden muss“, sagt sie und lacht. Strategische Planung bedeutet, einen Überblick über die aktuelle Forschung im eigenen Haus zu haben, mit den Forscherinnen und Forschern über den Stand der Entwicklung zu sprechen – und zu überprüfen, inwieweit die eigene Arbeit zum Bedarf der Solarindustrie und den aktuellen wissenschaftlichen Trends passt. „Letztlich geht es darum, am Puls der Zeit zu sein.“ Dafür vertritt Bianca Lim das ISFH auch in europäischen Fachgremien, um Lobbyarbeit für die Solarforschung zu machen und zu hören, woran andere Institute arbeiten und was für die Industrie wichtig ist.

Foto einer Frau in roter Jacke vor einem Gebäude, ihr Spiegelbild wird von einer Glastür reflektiert

Fühlt sich in Hameln Zuhause: Bianca Lim vor dem Institut für Solarenergieforschung

Als „strategische Planerin“ am ISFH ist sie die Schnittstelle zwischen der Geschäftsführung und den Arbeitsgruppen. „Dazu gehört vor allem, Besprechungen vorzubereiten und zu moderieren“, sagt Bianca Lim. Meist geht es in den Besprechungen ins fachliche Detail. Als Frau mit wissenschaftlicher Expertise ist sie dafür bestens gerüstet. In den Besprechungen wird analysiert, welche Ergebnisse ein Experiment erbracht hat und ob es verändert werden muss, um ein Ziel zu erreichen. Dort wird auch entschieden, ob und wann das ISFH in die Entwicklung einer neuen Technologiegeneration einsteigt – etwa so, wie ein Autokonzern entscheidet, die Entwicklung einer neuen Fahrzeuggeneration zu starten. Damit bringt Bianca Lim zwei Dinge zusammen: den Überblick über die Wissenschaftslandschaft in der Photovoltaik und den tiefen Einblick in die Forschung am Institut.

Druckerartiges Gerät, darunter eine blau beschichtete Platte

Produktion von Solar-Wafern in Hameln

Zurück von Singapur nach Hameln

Einige Zeit nach ihrer Promotion am ISFH ging sie im Jahr 2015 nach Singapur, um dort an einem Institut zu arbeiten, das ähnliche Forschung wie die Hamelner betreibt. „Mein Vater stammt aus Singapur. Früher waren wir dort alle zwei Jahre im Urlaub – von daher lag für mich der Schritt nach Singapur nahe.“ Eineinhalb Jahre blieb sie dort – bis ihr die Geschäftsführung des ISFH die „strategische Planung“ anbot – eine übergeordnete Stelle, bei der man nicht an ein einzelnes Projekt gebunden ist, sondern koordinierend arbeitet. „So eine Stelle gibt es im Wissenschaftsbetrieb nicht allzu oft. Ich habe kurz überlegt und dann zugesagt“, sagt sie. Mitte 2017 kehrte sie an die Weser zurück.

zwei lachende Frauen mit Haarnetz, eine davon mit Schutzbrille

Bianca Lim (li) hat aktuell eher koordinierende Aufgaben, schließt aber nicht aus, eines Tages wieder in die Forschung zurückzugehen.

Weltweite Strahlkraft

Seitdem hat sie einige interessante Entwicklungen am ISFH begleitet – etwa die Arbeiten zur „Passivierung von Siliziumoberflächen“, eine Technologie aus dem ISFH, die sich weltweit durchgesetzt hat. Auch dabei ging es darum, den Wirkungsgrad von Solarzellen aus Silizium zu erhöhen. Solche Zellen erzeugen elektrischen Strom, indem das Sonnenlicht Elektronen aus dem Siliziumkristall herausschlägt. Die Elektronen durchwandern das Material und verlassen es als elektrischer Strom. Das Problem: Viele dieser Elektronen reagieren mit dem Solarzellmaterial und gehen für den Stromfluss verloren. Da diese Reaktionen vor allem an der Oberfläche des Materials stattfinden, wurden am ISFH spezielle Oberflächenbeschichtungen aus Aluminium und Sauerstoff entwickelt, die für die Elektronen weniger attraktiv sind. Die Elektronenausbeute der Zellen erhöhte sich dadurch enorm.

„Diese Passivierung ist ein großer Erfolg“, sagt Bianca Lim, „und da ich gern selber wissenschaftlich arbeite, reizt es mich, mittelfristig ins Labor zurückzukehren.“ Die Geschäftsführung begrüße das. Bianca Lim: „Wir sind uns einig, dass das durchaus gut ist. Denn je länger man aus der Forschung raus ist, desto schwieriger wird es zurückzukehren – auch, wenn man sich einmal woanders bewerben will.“ Sie ist jetzt 41 Jahre alt. Damit bleibe noch genug Zeit, die Rollen zu wechseln, sagt sie. Denn da ist auch noch ihr zweieinhalb Jahre alter Sohn, dem sie im Moment viel Zeit widmen möchte.

Hier deutet sich tatsächlich eine Renaissance für Deutschland an

Wiese mit mehreren schräggestellten Dachziegelflächen, die teilweise mit Solarmodulen belegt sind

Test-Module am Institut für Solarenergie Hameln (IFSH)

Ein nagelneuer Maschinenpark

Bis auf weiteres bleibt die strategische Planung für sie damit die attraktivere Position; auch, weil das ISFH durch das Programm zukunft.niedersachsen 16,5 Millionen Euro erhält. Das Geld wird benötigt, um unter anderem den Maschinenpark für die Pilotfertigung von Solarzellen und -modulen rundzuerneuern. „Damit verfügen wir über moderne Anlagen, mit denen wir Fertigungsprozesse für die Industrie erproben können“, sagt Bianca Lim.

Bekanntlich ist die Solarzellenproduktion in den vergangenen Jahrzehnten nach Asien und besonders nach China abgewandert. Der neue Maschinenpark am ISFH kann dazu beitragen, die Fertigung von Solarzellen der neuen Generationen nach Deutschland zurückzuholen und Niedersachsen zu einem wichtigen Fertigungsstandort zu machen. „Hier deutet sich tatsächlich eine Renaissance für Deutschland an“, sagt Bianca Lim. Zu den Solarzellen der neuen Generation zählen vor allem auch die „Tandemsolarzellen“, an denen das ISFH forscht. Mit den Fördermitteln wird auch ein niedersächsisches Forschungscluster für diese Solarzellen aufgebaut, zu dem neben dem ISFH die Mitgliedsuniversitäten des Energie-Forschungszentrums Niedersachsen gehören.

Eine Frau in weißem Kittel mit Hygienehaube auf dem Kopf steht an einem Bildschirm in einer modernen Halle mit technischen Geräten

Moderne industrielle Prozessanlagen am IFSH

Entspannung von der Arbeit

Bianca Lim wird also gern weiter an der Weser bleiben – zusammen mit ihrem Lebenspartner, den sie am ISFH kennengelernt hat. „Ich vermisse Berlin nicht wirklich. Für Menschen, die 16 Theater und drei Opern brauchen und die gern bis nachts um drei mit Freunden ein Bier trinken gehen, ist Berlin sicher verlockend – aber meine Familie und ich haben dieses Angebot eigentlich nie genutzt. Ich bin eher der Typ, der gern zuhause ist.“

Früher spielte sie oft Videospiele, vor allem Rollenspiele, zusammen mit ihrer Schwester. Heute liest sie oder schaut sich Fernsehserien an. Oder sie geht mit hinaus in die Natur, wenn ihr Sohn und ihr Partner losziehen wollen. Keine Frage, sie lebt gern in Hameln, einer Stadt mit knapp 60.000 Einwohnern, die für sie alles bietet, was man braucht – und nebenbei Heimatstadt eines Forschungsinstituts ist, das weltweit Strahlkraft hat.