Wie geht es dem niedersächsischen Wald in Zeiten des Klimawandels? Wie bewältigt er die damit verbundenen Herausforderungen? Das erforscht das Klima.Zukunftslabor DIVERSA. Dazu greifen die Wissenschaftler:innen auf eine Fülle von Daten zurück, aus denen sich der Zustand und die Resilienzmuster des Waldes ableiten lassen. Im Interview erklärt Sprecher Dr. Jonas Hagge, was bewirtschaftete Wälder von natürlichen Wäldern lernen können und welchen Einfluss der Standort auf die Klimaresilienz hat.
Herr Dr. Hagge, was ist Ihr Forschungsinteresse mit DIVERSA?
Jonas Hagge: DIVERSA fokussiert sich auf das Ökosystem Wald und dessen Anpassungsstrategien an die Folgen des Klimawandels. Die Folgen des Klimawandels sind in Wäldern sehr präsent und führen zu Veränderungen, von denen unter anderem auch die Nutzung des Waldes durch uns Menschen betroffen ist. Daher ist eines unserer Ziele, das natürliche Anpassungspotenzial von Wäldern zu verstehen und dazu mehr Wissen zu generieren. Wir werden untersuchen, wie sich der Wald selbst an klimatische Veränderungen und Klimaextreme anpasst. Daraus wollen wir lernen, wie wir auch die Bewirtschaftung so anpassen können, dass Waldmanagementprozesse klimaresilienter werden. Wir möchten so den Eigenwert, aber auch die Leistungen, die Wälder für unsere Gesellschaft erbringen, erhalten.
In DIVERSA arbeiten wir dabei mit einem Waldbegriff, der neben den Bäumen auch die im Wald beheimatete Tier- und Pilzwelt umfasst. In einem Teilprojekt untersuchen wir zum Beispiel die Biodiversität von Nachtfaltern und Vögeln im Wald, weil das Vorkommen der Vogel- und Insektenarten ein wichtiger Indikator und zugleich Einflussgröße für die Vitalität des Waldes sind.
Bei DIVERSA arbeiten Forschende der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt, der Georg-August-Universität Göttingen, der Leuphana Universität Lüneburg, der Alfred Toepfer Akademie für Naturschutz, der Naturschutzakademie Hessen, der Technischen Universität München, der Utrecht University sowie Praxispartner:innen der Niedersächsischen Landesforsten und des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz zusammen.
Mit welchen natürlichen Mechanismen schützt sich der Wald vor dem Klimawandel?
Jonas Hagge: Die natürlichen Resilienzmechanismen kann man aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Im Allgemeinen kommt es aber sehr viel auf die Identität und die Diversität der Baumarten im Wald sowie auf den Standort der Bäume an. Je nach Standorteigenschaften und Herkunft der Bäume unterscheiden sich auch die Resilienzmechanismen und das Anpassungspotenzial. Zudem kommt es auch auf das Zusammenspiel verschiedener Baumarten und ihr jeweiliges Potential zur Verjüngung an. Durch diese Synergien lassen sich die Effekte des Klimawandels auf den Wald abmildern. Beispielsweise könnte ein Baum mit hoher Krone, der besser mit Hitze und direkter Sonneneinstrahlung umgehen kann, Bäumen mit niedrigerer Krone Schatten spenden und somit vor Hitzeschäden bewahren.
Circa 95 Prozent der Waldfläche Niedersachsens sind bewirtschaftet. Dort wird von menschlicher Seite durch ein Waldmanagement steuernd eingegriffen. In DIVERSA erforschen wir daher auch, wie ein gezieltes Waldmanagement unseren Ressourcenansprüchen gerecht wird und dabei gleichzeitig klimaresilient gestaltet werden kann. Dazu suchen wir uns gezielt Wälder mit einer natürlichen Entwicklung aus und wollen an diesen Beispielen natürliche Resilienzprozesse verstehen, um diese Erkenntnisse auf den bewirtschafteten Wald übertragen zu können. Der bewirtschaftete Wald macht sich sozusagen die natürlichen Anpassungspotentiale des Waldes zu Nutzen.
Können Sie ein Beispiel für Waldmanagement-prozesse nennen?
Jonas Hagge: Beim Waldmanagement geht es im Endeffekt darum, wie wir den Wald bewirtschaften. Die Art und Weise, wie wir aus dem Wald einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen ziehen, muss natürlich auch an den Klimawandel angepasst werden.
Wenn wir etwa die Holzproduktion als Beispiel nehmen, sehen wir, dass sich hier auf Grund der Klimawandels etwas verändern muss. In der Vergangenheit wurden zur Holzproduktion oftmals Fichten oder Kiefern angepflanzt, weil diese Baumarten viele günstige Eigenschaften besitzen. Daher sind circa die Hälfte der niedersächsischen Wälder Nadelwälder, mit der Folge, dass beispielsweise die Fichte nun auch an Standorten vorkommt, an denen sie auf natürlichem Wege nicht gewachsen wäre. Diese Fichtenbestände haben nun große Probleme sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Um den Wald an diesen Stellen klimaresilient zu gestalten, kann ein gezielter Waldumbau durch eine Mischung verschiedener Baumarten und eine diverse Bestandsstruktur die Resilienz der Wälder verbessern.
Cornelius Senf
Das Baumsterben in Folge des Klimawandels ist in niedersächsischen Wäldern, wie hier im Harz, schon deutlich sichtbar.
Gibt es Wälder, die frei von Waldmanagementprozessen sind?
Jonas Hagge: Urwälder, also Wälder, die keine Spuren menschlicher Nutzung haben, gibt es in Mitteleuropa nicht mehr. Es gibt einzelne Wälder in Niedersachsen die nachweislich seit über fünfzig Jahren ohne Bewirtschaftung sind. Bei einer Lebensspanne von mehreren Jahrhunderten bei Bäumen entspricht diese Zeitspanne allerdings auch nicht einmal eine Baumgeneration. Damit ein Wald sich aber wieder in den Zustand eines Urwaldes entwickeln kann, sind mehrere Baumgenerationen nötig. In diesen Wäldern lässt sich so immer noch eine „Management-Legacy“, also Veränderungen, die auf menschliche Eingriffe zurückzuführen sind, nachweisen.
Diese Flächen sind aber trotzdem sehr wertvoll für unsere Forschung. Hier können wir beobachten, wie natürliche Entwicklungsprozesse ablaufen. Das veränderte Klima bewirkt in Wäldern schon eine Veränderung und Bewirtschaftungsprozesse bringen zusätzlich noch eine zweite Veränderung in den Wald. Klimabedingte und nutzungsbedingte Veränderungen interagieren oft miteinander und sind dann nicht immer deutlich voneinander trennbar. Für die Klimaanpassung ist es daher sehr gewinnbringend, dass wir auch Veränderungsprozesse in Wäldern überwachen können, in denen kein menschlicher Eingriff mehr stattfindet.
Prozesse laufen im Wald sehr langfristig ab und die Auswirkungen von Managemententscheidungen zeigen sich oft erst 50 bis 60 Jahre später. Das ist eine Besonderheit und eine Herausforderung des Ökosystems Wald. Wenn ich heute einen Baum pflanze, dann habe ich persönlich erstmal wenig davon, aber unsere Enkelgeneration wird später davon profitieren. Wir können mit unserem Projekt also jetzt die richtigen Weichen stellen, um die Bedeutung des Waldes für uns als Gesellschaft auch für die Zukunft zu sichern.
Mit welchen Methodiken wollen Sie den Wald und dessen Anpassungsfähigkeit überwachen?
Jonas Hagge: Wir wollen ein Bild über den Zustand des niedersächsischen Waldes in seiner Fläche bekommen. Hierfür sind Fernerkundungsdaten, sprich Satelliten- und Flugzeugbilder unerlässlich. So greifen wir beispielweise auf Wärmestrahlungs- und Infrarotstrahlungsbilder zurück, die uns Daten zur Oberflächentemperatur bzw. zum Vegetationszustand liefern.
Darüber hinaus nutzen wir auch schon vorhandene Waldmonitoringsysteme in bewirtschafteten und natürlichen Wäldern. Zudem werden wir selbst in Feldarbeit als Forscher:innen in den Wald gehen und eigenhändig Messungen und Untersuchungen durchführen. Nachtfalter kann ich beispielsweise nicht per Luftaufnahme sehen und die jeweilige Art bestimmen. Da müssen Wissenschaftler:innen vor Ort Lichtfallensysteme installieren, um die Nachtfalterpopulation zu zählen. Auch die Vogelpopulationen werden vor Ort durch Waldakustikmessungen bestimmt.
Die so erhobenen Daten dienen als „Ground Truth“ für unsere Luft- und Satellitenaufnahmen. Das bedeutet, dass wir mit ihrer Hilfe überprüfen, was es datentechnisch vor Ort am Boden bedeutet, wenn wir aus den Fernerkundungsdaten sehen können, dass der Wald klimabedingte Stressreaktionen zeigt. Durch unsere Daten können wir das Ausmaß der Vitalitätsabnahme und die vorliegenden Störungsarten bestimmen.
Unsere Messdaten werden wir dann in einer Monitoringplattform zusammenfassen, die den aktuellen Zustand des Waldes abbilden kann. Mit dieser Plattform lassen sich auch Szenarien durchspielen und in unterschiedlichen Modellläufen prognostizieren, wie sich der Wald unter veränderbaren Bedingungen in der Zukunft entwickeln wird und wie man in diese Anpassungsprozesse durch ein gezieltes Waldmanagement steuernd eingreifen kann.
An welchen Standorten werden Sie mit DIVERSA Messungen durchführen?
Jonas Hagge: Wir haben den Anspruch, die Waldentwicklung in ganz Niedersachsen zu verfolgen und über die Fernerkundung Aussagen über den Zustand des gesamten niedersächsischen Waldes treffen zu können.
Einen Schwerpunkt bei den Felderfassungen werden wir auf die Flächen unseres Praxispartners, den Niedersächsischen Landesforsten, legen. Ca. 30 Prozent der niedersächsischen Wälder (330.000 Hektar) sind niedersächsischer Landeswald und werden von den Landesforsten bewirtschaftet. Als Kooperationspartner können wir auf diesen Flächen forschen und unsere Messungen durchführen. Darüber sind wir sehr froh.
Sie haben den Standortfaktor im Wald schon angeschnitten. Welche Unterschiede macht es beispielsweise, ob ein Wald im Mittelgebirge oder an der Küste liegt?
Jonas Hagge: Der Wald wird von seinem Standort geprägt. Von Standort zu Standort unterscheiden sich Faktoren wie mittlere Jahrestemperatur, Jahresniederschlagsmenge, Windbedingungen, Bodenfeuchte, usw. Wenn man auf die mittlere Jahrestemperatur schaut, haben wir einen in Niedersachsen einen Gradienten, der ungefähr vier bis fünf Grad Celsius abdeckt. Das ist eine sehr große Spannbreite, die sich natürlich auch auf die Wälder auswirkt. Da öffnet sich beispielsweise die Frage, welche Baumarten mit höherer und welche mit niedriger Temperatur besser umgehen können.
Jonas Hagge
Dr. Jonas Hagge ist Sprecher des Klima.Zukunftlabors DIVERSA.
Wie wollen Sie die Stakeholder einbeziehen?
Jonas Hagge: Wir möchten alle Stakeholder des Waldes, also Waldbewirtschaftende, Waldbesitzer:innen, Förster:innen usw. zusammenbringen und gemeinsam in einen Prozess starten, bei dem alle Stakeholder zusammen eine Perspektive entwickeln, wie der Wald der Zukunft aussehen soll.
Dabei möchten wir als Plattform für den Austausch fungieren. Als Forscher:innen haben wir gleichzeitig den Anspruch, diesen Prozess wissenschaftlich zu begleiten und beratend zur Seite zu stehen. Wir sind also gleichzeitig Teil des Austausches und werden ihn wissenschaftlich erforschen.
Was werden die ersten Schritte im Klima.Zukunftslabor sein?
Jonas Hagge: Als interdisziplinäres Verbundprojekt bringen wir viele verschiedene Fachrichtungen zusammen. Das ist mit Sicherheit eine unserer Stärken, bringt aber auch Herausforderungen mit sich. Zum Start wollen wir die einzelnen Teilprojekte in das Labor integrieren und Prozesse der Zusammenarbeit etablieren. Ein wichtiger Punkt dabei wird sein, eine gemeinsame Sprache zu finden. Jede Fachwissenschaft hat ihre eigene Fachsprache. Für unsere Zusammenarbeit müssen wir uns also auf ein gemeinsames, für alle verständliches Vokabular einigen.
An der Universität Göttingen sitzt mit FoResLab ein zweites Klima.Zukunftslabor, das die Klimaresilienz von Wäldern erforschen möchte. Wie wird hier die Zusammenarbeit aussehen?
Jonas Hagge: Wir stehen schon in gutem Austausch, den wir noch vertiefen werden. Zu Beginn des nächsten Jahres ist etwa ein gemeinsames Treffen angedacht, bei dem wir besprechen, wie wir komplementär zueinander forschen und uns gegenseitig unterstützen können.